Industrie 4.0 braucht menschliche Fachkräfte, die vernetzt denken

Industrie 4.0 braucht kompetente Menschen

Industrie 4.0, auch „Industrial Internet of Things“ (IIoT) genannt, revolutioniert den produzierenden Mittelstand und Konzerne. Es stärkt die Wettbewerbsfähigkeit, beschleunigt die Produktentwicklung und ermöglicht individuelle Produkte. Industrie 4.0 ist aber mehr als die technische Digitalisierung der Industrie. Die Planung neuer digitaler Prozesse und deren Einführung ist ohne fachkundige Mitarbeitende undenkbar. Qualifizierung und Kompetenzmanagement aller Akteure sowie Personenzertifizierung und ein Blick von außen sind wichtige Erfolgsfaktoren für Entwicklung der smarten Fabrik der Zukunft.

Industrie 4.0 oder auch Industrial Internet of Things (IIoT) ist ein Sammelbegriff für die Digitalisierung in der Industrieproduktion. Dabei geht es um die Vernetzung von Maschinen, Werkzeugen und Menschen in nahtlos digitalen Ende-zu-Ende Prozessketten. Vom Kunden, über die Produktion bis zu den Lieferanten wird eine komplett digitale Leistungskette realisiert, über die alle Daten für alle Prozessschritte zur Verfügung stehen.

Insbesondere das produzierende Gewerbe sucht einen Weg, mit Technologien rund um Big Data, KI und Industrie 4.0 Wettbewerbsvorteile zu realisieren. Die Fabrik der Zukunft ist intelligent, flexibel, automatisiert, effizient und nachhaltig. Große Datenmengen sollen dabei nicht nur beherrschbar sein, sondern auch in Smart Data umgewandelt und mittels Smart Data Services genutzt werden – vom Shopfloor bis zum After-Sales-Service zur Managementebene.

Aktuell sollen weltweit bereits 17,7 Milliarden IIoT-Verbindungen existieren, meldete Anfang November 2020 Juniper Research. Die britischen Marktforscher prognostizieren einen Anstieg auf 36,8 Milliarden vernetzte industrielle Dinge bis 2025. Sie rechnen also mit einem Wachstum von über 100 Prozent in nur fünf Jahren. In ihrer Studie „Industrial IoT: Future Market Outlook, Technologieanalyse und Key Player 2020-2025“ identifizieren die Analysten Smart Manufacturing als den wichtigsten Wachstumstreiber. Vor allem die flächendeckende Einführung von 5G-Funktechnologie, Narrowband IoT und Low Power Wide Area-Netzen (LPWA) spielen eine Schlüsselrolle für neue Serviceangebote in der Fertigungsindustrie. In der intelligenten Fabrik der Zukunft befähigen Daten in Echtzeit die autonome Produktion von individuellen Teilen zu den Kosten der Massenproduktion. Damit das gelingt, brauchen Unternehmen qualifizierte Mitarbeitende. Der Flaschenhals für die Industrie 4.0-Einführung liegt weniger in der Technik. Vielmehr sind es die Menschen mit den passenden Kompetenzen, damit eine intelligente Wertschöpfung tatsächlich erfolgreich eingeführt wird.

Planungskompetenz für nahtlos-digitale Prozessketten

Für den Erfolg einer Smarten Fabrik reicht es nicht, einfach Maschinen, Produktionsplanungs- oder Manufacturing Executions Systeme (PPS / MES) mit einer IIoT-Lösung zu verbinden. Die Arbeit fängt deutlich früher an, wenn ein Unternehmen mit seinem Industrie 4.0-Projekt auch einen echten Mehrwert schaffen möchte. Ausgangspunkt sollte immer eine Standortbestimmung sein, wie fit ein Unternehmen für Industrie 4.0 ist. Nur weil ein Unternehmen schon Tablets einsetzt, bedeutet das noch nicht, dass sein IIoT-Reifegrad schon besonders ausgeprägt ist. Sehr oft verhindern Medienbrüche, Datensilos und Datenströme, die immer wieder in einem System enden, eine Wertschöpfung aus Daten und die Nutzung aller Daten an den Orten, wo sie dringend benötigt werden.

Während viele Betriebe zunächst nur ihre Produktion in den Blick nehmen, vergessen Produktionsplaner häufig die externen Schnittstellen zu Lieferanten und Kunden sowie die interne Vernetzung mit ERP, Warenwirtschaft, Einkauf, Buchhaltung, Produktentwicklung, After Sales sowie zur Qualitätssicherung.

Am Anfang eines Industrie 4.0-Projektes bedarf es deshalb eines systemischen Blicks, um die Prozesse zu analysieren. Darauf aufbauend müssen die Prozesse auf Basis einer IIoT-Strategie angepasst werden, die eine detaillierte Ziel- und Funktionsbeschreibung beinhaltet. Es gilt, darin das komplette Unternehmen, seine Lieferanten und Kunden in einen vollständig digitalisierten Ende-zu-Ende-Prozess zu integrieren.

Das Ziel dieser Planungsphase muss sein, künftig alle Systeme und alle Stakeholder, alle Datensilos, alle potenzielle Datenquellen bis hin zur Qualitätssicherung und der After-Sales-Prozesse in einer nahtlosen digitalen Industrie 4.0 Prozesskette zu vernetzen. Dabei unterschätzen Unternehmen häufig die Herausforderungen ihrer vielen inkompatiblen Schnittstellen. Zwar entstehen überall Daten. Diese müssen aber auch von allen vernetzten Systemen verstanden werden. Denn die Daten entfalten nur dann ihren Mehrwert, wenn sie auch bedarfsgerecht verwertet werden können. Das bedeutet, dass jedes digitale Gerät bis hin zu einem Drehmomentschlüssel so einzubinden ist, dass es seine Ist-Daten in das System einspeist und selber darüber gesteuert werden kann. Denn nur durch diese konsequente Ende-zu Ende-Prozesskette können Fertigungsschritte konsequent und kontinuierlich optimiert sowie transparent gemonitort werden, selbst Jahre später bei einer Reklamation oder Wartung. Mit diesen komplexen Anforderungen an eine neue Industrie 4.0-Infrastruktur sind Einzeldisziplinen wie IT-Abteilung und Produktionsplanung oftmals allein überfordert. Es fehlen jeweils das Know-how und der Überblick über das Ganze sowie die Unternehmensgrenzen hinaus.

Ein Blick von außen ist für die Industrie 4.0 Realisierung noch aus zwei anderen Gründen ratsam: Bevor Hard- und Software angeschafft werden, müssen die Anforderungen exakt definiert und auch sicher geprüft sein, dass die geplanten Anpassungen an die eigenen Prozesse in IIoT-Standardlösungen wie MindSphere überhaupt möglich sind und die erwarteten Verbesserungen bringen. Zudem müssen auch die Mitarbeiter parallel zur Prozessumstellung Lernkurven durchlaufen.

Industrie 4.0-Kompetenzen der Mitarbeiter entwickeln

Denn für eine erfolgreiche Implementierung von Industrie 4.0-Innovationen müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitziehen – können. Grundlage ist ein Führungssystem und eine Organisation, in der die Dynamik, Schnelligkeit einer ganzheitlichen und flexiblen Ende-zu-Ende-Prozessverantwortung gelebt wird. Anders als in der industriellen Massenproduktion, in der immer die gleichen Handgriffe, also die ständige Wiederholung, für die Fertigung hoher Stückzahlen identischer Produkte nötig waren, brauchen die Mitarbeiter in einer Industrie 4.0-Fertigung eine andere Einstellung und andere Kompetenzen. Agilität, Interdisziplinarität und Kreativität lassen sich nicht anordnen. Es ist vielmehr ein Change-Prozess, der das gesamte Unternehmen betrifft und bei dem jeder befähigt werden muss, ihn aktiv an seinem Platz, in seiner Rolle mitzugestalten. In einer Industrie 4.0-Produktion arbeiten Maschinen, Geräte, Werkzeuge, Sensoren und Menschen zusammen und müssen miteinander kommunizieren. Die Mitarbeiter müssen die Hard- und Software bedienen, Daten auswerten, interpretieren und dokumentieren und agil mit der IIoT-Infrastruktur interagieren. Und das müssen sie lernen. Parallel zu einer Industrie 4.0-Einführung muss deshalb eine Qualifizierungsinitiative für einen rollenspezifischen Kompetenzaufbau der Mitarbeitenden sorgen.

Idealerweise wird der Veränderungs-Prozess einer Industrie 4.0-Einführung durch ein eigenes Schulungssystem begleitet, das alle Mitarbeiter zeitgerecht mit Virtual Classrooms und hybriden Lernformen auf die Neue Welt vorbereitet. In sicherheitsrelevanten Bereichen sind neben Schulungen und Weiterbildung auch Personenzertifizierungen nötig, um einen Nachweis über die Befähigung der Mitarbeiter führen zu können. Das Ziel muss sein, dass mit dem Start des IIoT-Live-Betriebs alle Mitarbeiter ein ihrer Rolle und Aufgaben angepasstes und dennoch einheitliches Verständnis von den Prozessen und der unterstützenden Hard- und Software haben. Denn erst, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann ein Unternehmen durch das Zusammenspiel aus Menschen, Technik und Prozessen das volle Potenzial seiner neuen Industrie 4.0-Fertigung ausschöpfen.

TÜV Rheinland ist weltweit einer der wenigen Player, der eine integrierte Industrie 4.0-Beratung aus einer Hand anbieten kann. Experten für die Smart Factory arbeiten eng mit den Spezialisten für Kompetenzentwicklung und Kompetenzmessung im IIoT zusammen. Was Digitalisierung und Industrie 4.0 für das eigene Unternehmen bedeutet und wie das eigene Geschäftsmodell durch Digitale Manufacturing Services noch erfolgreicher werden kann, dazu bietet TÜV Rheinland derzeit Live-Online-Trainings an. Experten präsentieren Anwendungsfälle, erklären ausgewählte KPIs und zeigen Best Practice Beispiele aus verschiedenen Branchen. Mehr Informationen rund um eine integrierte Industrie 4.0-Strategie finden sich hier.

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Kai Hoehmann